Wer günstig (Business Class) fliegen will, muss oftmals vom Ausland starten. So kostet ein Ticket von Oslo über Frankfurt nach Peking nur etwa halb so viel wie die Nonstop-Verbindung ab Deutschland. Regelmäßig kommt dann die Frage auf, ob es nicht einfach möglich sei, erst in Frankfurt einzusteigen und das erste Segment verfallen zu lassen.
Bislang war die Antwort darauf leider fast immer ein Nein. Anders als beim Rückflug, wo ein Verfallenlassen des letzten Segments zwar offiziell nicht gerne gesehen war, aber in der Praxis fast immer geduldet wurde. Spätestens seit einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2019, bei dem die Lufthansa mit einer entsprechenden Berufung gescheitert ist.
Nun kam nochmals Bewegung in die Sache. Denn nach dem sechs Jahre alten Amtsgericht-Urteil aus 2019, hat nun der Bundesgerichtshof über einen ähnlichen Fall entschieden. Die Lufthansa reagierte prompt mit einer Anpassung der Beförderungsbedingungen. Demnach wäre unter bestimmten Umständen sogar das Verfallenlassen des ersten Segments möglich. Allerdings nur unter gewissen Voraussetzungen.
Der Artikel stellt keine Rechtsberatung dar, lediglich unsere Interpretation der Gerichtsurteile.
Bundesgerichtshof entscheidet gegen die Lufthansa
Der aktuellen Entscheidung war ein mehrjähriger Rechtsstreit der Verbraucherzentralen gegen die Lufthansa vorausgegangen. Moniert wurden die Beförderungsbedingungen. Die sehen für den Fall, dass ein Flug nicht angetreten wird, die Nachberechnung des Flugpreises vor. In anderen Worten: Wer Oslo – Frankfurt – Peking gebucht hat, aber erst in Frankfurt am Schalter erscheint, muss die Differenz für den Direktflug nachzahlen.
Zunächst hatte die Lufthansa Erfolg und konnte die Klage abweisen. Dieses Urteil hielt allerdings der Berufung nicht stand. Jetzt hat der Bundesgerichtshof die Berufung bestätigt und ein wegweisendes Urteil getroffen. Die Beförderungsbedingungen sind demnach ungültig, weil der Verbraucher unangemessen benachteiligt würde.
Grundsätzlich hält es der BGH zwar für verständlich, dass die Airline Direktflüge teurer anbieten möchte als Umstiegeverbindungen. Es sei demnach auch legitim, von denjenigen Kunden einen Aufpreis zu verlangen, die von Anfang an eine Umgehung der Tarifstruktur planen würden. Allerdings könne es auch Gründe geben, die erst nach der Flugbuchung auftauchen, und das Auslassen eines Flugsegments rechtfertigen würden. Und diese würden in den Bedingungen nicht angemessen berücksichtigt:
Vor diesem Hintergrund verstößt es gegen das Übermaßverbot, eine Nachkalkulation auch für solche Fluggäste vorzusehen, die die vereinbarten Leistungen nur deshalb nicht vollständig in Anspruch nehmen, weil nach Vertragsschluss Umstände zutage getreten sind, die eine solche Abweichung erfordern oder sinnvoll erscheinen lassen.
Urteil X ZR 110/24 des BGH vom 28. Oktober 2025
In der Urteilsbegründung wird auch auf ein ähnliches Urteil des Österreichischen Obersten Gerichtshofes eingegangen. Der hatte 2012 festgestellt, dass das Auslassen eines Segments sogar Einsparnisse für die Airline bedeuten könne. Denn die Fluggesellschaft könne einen Sitzplatz dann anderweitig verkaufen (Urteil Ob 164/12i OGH vom 17.12.2012).
Beförderungsbedingungen der Lufthansa bereits angepasst
Bislang gab es in den Beförderungsbedingungen bereits eine Ausnahmeregelung für Passagiere mit Wohnsitz in Österreich. Diese wurde nun auf Kunden mit deutschem Wohnsitz ausgeweitet.
Dort heißt es:
3.3.4 Für Beförderungen von Verbrauchern mit Wohnsitz in Deutschland und Österreich gilt folgendes:
Sofern Sie sich für einen Tarif entschieden haben, der die Einhaltung einer festen Flugscheinreihenfolge vorsieht, beachten Sie bitte, dass wenn Sie die Beförderung nicht auf allen oder nicht in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge der einzelnen Teilstrecken bei ansonsten unveränderten Reisedaten antreten, wir den Flugpreis entsprechend Ihrer geänderten Streckenführung nachkalkulieren werden. Dies gilt nicht, wenn sich schlicht Ihre Reisepläne ändern oder wenn Sie aufgrund höherer Gewalt, Krankheit oder aus einem anderen von Ihnen nicht zu vertretenden Grund daran gehindert sind, die Beförderung auf allen oder in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge der einzelnen Teilstrecken anzutreten. Bitte teilen Sie uns nach Möglichkeit die diesbezüglichen Gründe unverzüglich nach Kenntniserlangung mit. […]
Beförderungsbedingungen der Lufthansa
Wenn sich die Pläne erst nach der Buchung geändert haben, wäre demnach sogar das Verfallenlassen des Zubringerfluges Oslo – Frankfurt aus obigem Beispiel möglich – und nicht nur das letzte Segment auf dem Rückweg.
Allerdings stellt sich die berechtigte Frage, inwiefern es sich nachweisen lässt, ob das Auslassen von Anfang an geplant war, oder sich erst später ergeben hätte. Auch der BGH geht auf diese „Lücke“ ein und verweist darauf, dass die Beweispflicht in Zweifel den Kunden obliege.
Nun könnte man im obigen Fall also einen Zubringerflug nach Oslo buchen, und erst im Nachhinein entscheiden, doch lieber direkt ab Frankfurt zu fliegen. Inwiefern sich die Lufthansa-Mitarbeiter in Frankfurt davon überzeugen lassen, wäre die nächste Frage. Und die lässt Luft für weitere Klagen und Gerichtsurteile.
Der einfachste Weg zu einem ungestörten Urlaub bleibt also trotz neuem Urteil: Genau die Flüge buchen, die man auch möchte. Es gibt ohnehin Schlimmeres als ein oder zwei Tage in Oslo.
Quelle: Bundesgerichtshof | Danke an Dr. Böse für den Hinweis auf seinem Blog
Kommentare (10)
Ein Freifahrtsschein ist das Urteil sicherlich nicht, allerdings lassen sich so wohl guten Gewissens same-day Flüge zu den eigentlichen Abflughäfen buchen, zB FRA-OSL. Falls sich dieser Flug verspäten würde, kann man sehr gut argumentieren direkt in FRA zuzusteigen.
Wer bitte kommt überhaupt auf die Idee für einen Businessclass Flug von Frankfurt erst nach Oslo zu reisen? Das sind First World Problems und solche Leute haben meiner Ansicht nach völlig die Bodenhaftung verloren. In Zeiten wie diesen sollten wir auf Flüge eigentlich gänzlich verzichten und wenn dann nur Eco fliegen, der Umwelt zuliebe. Es gibt Milliarden Menschen die niemals einen Fuß ins Flugzeug setzen werden weil sie nicht so privilegiert aufgewachsen sind wie die westliche Welt. Für mich ist es völlig irre dieser Hype der BC um jeden Preis.
Ich akzeptiere deine Meinung Andre, aber dann ist dieses Forum vvlt. nichts für dich, sorry.
Hintergrund ist, dass ausländische Airlines in den Heimatmärkten der Konkurrenz günstigere Preise anbieten, um dort Kunden zu gewinnen und abzuholen.
Für Dich ist die Wahl eines potenziellen Abflugorts im Ausland – um insgesamt günstiger Business oder First zu fliegen – „irre“ und ein „Hype“. Für mich sind das grundlegende ökonomische Überlegungen, bei denen Preise und Zeiten kalkuliert und dann Entscheidungen getroffen werden. Die jeweils aktuelle Rechtslage interessiert mich in diesem Kontext natürlich, insbesondere wenn es um meine Passagierrechte und entsprechende Gerichtsurteile geht.
Deine Belehrungen, wer Deiner werten Meinung nach „in Zeiten wie diesen“ was sollte oder nicht sollte, kannst Du stecken lassen.
Die gesamte Luftfahrtindustrie (inklusive Fracht) verursacht etwa 3% des weltweiten CO2-Ausstoßes. Passagiere können rechnerisch ihren Anteil während der Buchung eines Fluges oder danach ausgleichen.
Wie oft bist Du schon in der Economy von Deutschland aus an die Westküste der USA, nach Japan oder nach Australien/Neuseeland geflogen?
Kannst DU Dir vorstellen, dass WIR bzw. viele hier, die a) beruflich und/oder privat viel unterwegs sind und b) nicht über unbegrenzte Mittel verfügen, einen von Deinem abweichenden Erfahrungshorizont und/oder andere Vorstellungen vom Fliegen/Reisen haben als Du?
Liest Du hier nur mit, um Dich aufzuregen?
Oberlehrer sein ist gar nicht so einfach und setzt Ahnung von der Materie voraus. 😉
Ob dieses Urteil größere Konsequenzen nach sich ziehen wird – ich bin mir da noch nicht sicher.
ob von oslo oder timbuktu: late-hansa nehm ICH nicht mehr geschenkt
Wie es dann in der Praxis funkioniert ist wieder eine ganz andere Sache. Ich glaube die wenigsten Leute haben Lust dann am Flughafen zu erfahren, dass der Flug storniert wurde weil man den Zubringer ausgelassen hat. Es steht zwar in den Bedinungen, man muss die Änderung „unverzüglich nach Kenntniserlangung“ mitteilen, heißt aber nicht, dass sie es auch akzeptieren. Danach klagen kann man immer und hat durch dieses Urteil und die neuen Bedinungen gute Chancen, man muss sich halt im Beweise kümmern. Ändert aber nichts am versauten Urlaub.
Die besten chancen hat man wohl wenn man z.B. einen Zug zum Abflughafen des Zubringers bucht, der sich aber verspätet oder ausfällt und man daher entscheidet vom zweiten Flughafen abzufliegen.
„Bislang war die Antwort darauf leider fast immer ein Nein. “
Also bei meinen Mandanten nicht, LH hat spätesten dann immer brav gezahlt, wenn wir sie unter Verweiis auf die vermurksten AGB verklagt haben. 😀
Schön aber, dass das nun durch den BGH auch der breiten Masse bekannt wird.
Hallo Peer, danke für den Hinweis auf dieses sensationelle Hammer-Urteil! Weitere Informationen bzw. „Interpretationen“ insbesondere zur extrem schwammig formulierten gelb markierten Passage im Artikel wären sicherlich für Viele hochinteressant. Daher hierzu bitte unbedingt am Ball bleiben…
ich sehe da kein Hammerurtei…. die Beweislast liegt beim Kunden. Wer tut sich das an?