Bewertung: Paris – London in der 1. Klasse des Eurostar (Premier Standard)

Eurostar Zug Saint Pancras Station

Als im vergangenen Jahr Interrail-Pässe zum halben Preis angeboten wurden, beschlossen meine Verlobte und ich, ein paar Euro mehr in die Hand zu nehmen und uns einen Pass erster Klasse zu gönnen. Recht schnell war uns beiden klar, dass eine Fahrt durch den Eurotunnel zu den Dingen gehörte, die wir beide unbedingt machen wollten. So planten wir für das Himmelfahrtswochenende einen Ausflug nach Paris und London, wobei wir die Strecke zwischen den beiden Städten (natürlich) mit dem Zug zurücklegten.

Bedient wird diese Strecke von den Eurostar-Zügen, die auch Amsterdam, Brüssel, Lille, Rotterdam und Disneyland Paris mit der britischen Hauptstadt verbinden. Eurostar selbst ist eine Tochtergesellschaft mehrerer europäischer Bahngesellschaften, die mittlerweile mit der französisch-belgischen Thalys fusioniert ist.

Buchung

Wer in Verbindung mit einem Interrail-Pass den Eurostar nutzen möchte, muss vorher für den gewünschten Zug einen Sitzplatz reservieren. Die Gebühren dafür fallen mit 40€ pro Person sehr hoch aus – teurer sind nur die Thalys-Züge, die Paris mit Belgien, den Niederlanden und Deutschland verbinden. Die Reservierungsgebühren für die zweite Klasse liegen ebenfalls höher als 30€. Teilweise ist es möglich, Einzeltickets ohne Interrail-Pass für weniger Geld zu kaufen.

Eurostar Vergleichspreis
Das Standardticket für unsere Fahrt hätte €150 gekostet (Buchung zwei Monate im voraus).

Für die 1. Klasse (Premier Class) lohnt sich die Ersparnis durch den Interrail-Pass schon mehr. Karten für die Premier Class kommen in zwei Abstufungen: Die teuerste Kategorie Premier Business inkludiert Lounge-Zugang, eine warme Mahlzeit und freie Getränke an Bord. Der Interrail-Pass 1. Klasse erlaubt einem eine Fahrt im Tarif Premier Standard – dieser verschafft einem zwar keinen Zugang zur Lounge, aber immerhin bleibt die kostenlose (dann aber kalte) Verpflegung erhalten.

Eurostar Fares
Eurostar Tarifübersicht
Der Eurostar mit einem Interrail-Ticket

Wie für fast alle internationalen Schnellzug-Verbindungen von/nach oder durch Frankreich fallen auch für den Eurostar im Verhältnis sehr hohe Reservierungsgebühren an. Für die zweite Klasse müssen je nach Strecke 30 bis 35 Euro bezahlt werden, die erste Klasse ist jeweils 5€ teurer.

Hinzu kommt in der Regel eine Servicegebühr:

  • Direkt am Schalter im Bahnhof zahlt ihr nur den Preis der Reservierung. Dafür besteht hier die Gefahr, dass kurzfristig keine Plätze mehr verfügbar sein könnten.
  • Über die Interrail-Website oder die Railplanner App fallen 2€ für jede Reservierung an.
  • Die belgische Bahn bittet euch auf ihrer Seite mit 4€ zur Kasse.

Normalerweise ist es nicht möglich, bei der Reservierung einen Wunschplatz zu wählen. Unter diesem Link lässt er sich jedoch jederzeit ändern.

Boarding in Paris

Am Gare du Nord in Paris findet das Boarding für den Zug im ersten Obergeschoss des Bahnhofs statt. Dort ist alles sehr straff hintereinander organisiert. Zunächst geht man durch die Fahrkartenkontrolle, anschließend begibt man sich zu der Pass-Station für die Ausreise aus dem Schengenraum, die fast ausschließlich aus Automaten besteht. Nur wenige Meter weiter passiert man eine zweite Passkontrolle, vermutlich zur Einreise ins Vereinigte Königreich. Anschließend reiht man sich in eine weitere Schlange zur Sicherheitskontrolle ein, bei der Gepäck und Handgepäck gescannt werden.

Für Premier Business Passagiere gibt es eine Fast Lane, die jedoch bei unserer Abfahrt keinen Vorteil gebracht hätte. An diesem Samstagnachmittag (Abfahrt 14:13 Uhr) herrschte kein allzu großer Andrang und wir mussten lediglich vor der Sicherheitskontrolle wenige Minuten warten. Der Ablauf erinnert also eher an einen Flughafen. Wer die Abläufe im deutschen Zugverkehr gewöhnt ist, den wird das verwundern – allerdings kann man sich auf deutschen Bahnhöfen auch deutlich freier bewegen als etwa in Spanien, China oder Japan.

EuroStar Terminal Paris
Übersichtsplan vom Wartebereich des Eurostar-Terminals in Paris Gare du Nord.

Zu dem Flughafen-Vergleich passt auch, dass die Passagiere in einer großen Wartehalle gesammelt werden, bevor 20 Minuten vor Abfahrt die Türen zum Gleis geöffnet werden. Die Bahnsteige erreicht man von zwei Brücken aus. An den Zugängen werden (analog) die Wagennummern angezeigt, welche der jeweiligen Brücke am nächsten sind. Trotzdem kam es auf dem Bahnsteig zu einem Durcheinander aus umherlaufenden Passagieren, die ihren Wagen suchten. Da sich die Angabe der Nummern zu dem als sehr unpräzise herausstellte (Unser Wagen 12 stand deutlich in der Wagen 1-10 Sektion) mussten auch wir noch einige Meter laufen.

Vor der Wagentür erwartete uns eine Zugbegleiterin, die sich mit einem Blick auf unsere Reservierung vergewisserte, dass wir auch in den richtigen Wagen einstiegen. Der anstrengendste Teil dieser Fahrt war damit erledigt.

Kabine

Wie fast alle europäischen Bahngesellschaften setzt auch der Eurostar in der 1. Klasse auf eine 1-2-Bestuhlung. Der Sitzabstand fällt dabei recht komfortabel aus, was auch keine Überraschung ist. Am Beginn und Ende des Wagens gibt es eine Ablage für größeres Gepäck, kleinere Gepäckstücke finden problemlos auf den Ablagen über den Sitzen Platz. Grautöne mit grellgrünen Akzenten dominieren das Farbschema.

Wie üblich bietet auch Eurostar normale Sitzreihen wie im Flugzeug sowie auch Sitzgruppen um einen großen Tisch in der Mitte. Auch abseits der Tische muss man auf Ablage- oder Arbeitsmöglichkeiten nicht verzichten. Neben ausklappbaren Tischen findet man zusätzlich Getränkehalter. Jeder Platz bietet Zugriff auf Steckdosen (sowohl europäische als auch britische) und USB-Ports, über die man seine elektronischen Geräte laden konnte.

Da sich der Service deutlich von meinen bisherigen Erfahrungen abhob (dazu später mehr), war ich gespannt auf den Zustand der Waschräume. Meine Erwartungen wurden enttäuscht, es handelte sich um eine stinknormale Zugtoilette.

Pluspunkte sammelten sich hingegen bei den kostenlosen Zeitungen und Zeitschriften, die in einem Ständer am Ende der Wagen angeboten wurden. Darunter befand unter anderem eine Ausgabe der Vogue, die im Einzelhandel gut-und-gerne 10€ kosten kann. Hier wird nicht gespart.

Essen & Getränke

Wie oben erwähnt inkludiert eine Fahrt mit dem Eurostar in der 1. Klasse eine Mahlzeit. Das Angebot kann jeder online selbst begutachten, in einem Online-Portal kann man Strecke und Reisezeit angeben und bekommt das Menü angezeigt. Wir hatten die Wahl zwischen Roastbeef mit Bulgur-Salat oder Ziegenkäse mit allerlei Gemüse. Dazu werden ein Brötchen, Butter und eine Nachspeise gereicht. In diesem Fall handelte es sich dabei um eine Stachelbeeren Tarte.

Das Roastbeef war köstlich, der Bulgursalat war mir persönlich zu süß, fand‘ aber bei meiner Verlobten großen Anklang. Als Begleitung wählte ich einen der angebotenen Weine, der in einer kleinen Flasche nebst einem Glas serviert wurde. Zu der vorzüglichen Tarte ließ ich mir einen Milchkaffee servieren, der jedoch stark nach Pulverkaffee schmeckte. Kein Drama, aber angesichts der bis dahin guten Qualität eine kleine Enttäuschung.

Die emsigen Zugbegleiter boten den Gästen mehrfach weitere Getränke an, auch bei der Ausgabe von alkoholhaltigen Getränken herrschte keine Zurückhaltung.

Service

Unser Wagen wurde von drei Zugbegleitern betreut, deren Namensschilder ihr Herkunftsland und gesprochene Sprachen verrieten. Eine davon war die gleiche Dame, die vor dem Betreten des Zuges unsere Tickets kontrollierte. Alle waren überaus freundlich und engagiert und gaben keinen Anlass zur Beschwerde. Hierbei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass unser Wagen nur gut zur Hälfte besetzt war und dem Personal so mehr Zeit für einzelne Passagiere blieb.

Fahrterlebnis

Die Fahrzeit auf dieser Strecke beträgt zwischen 2:15 und 2:35 Stunden, wobei die Dauer von weiteren Stopps und dem Verkehr abhängig ist. Der Weg führt einen dabei stets von Paris nach Norden bis Lille und von dort direkt nach Westen Richtung Ärmelkanal und britische Hauptstadt. Nach einer kleinen Runde um London fährt man dann von Norden in den Bahnhof St. Pancras ein.

Trotz der hohen Geschwindigkeiten von bis zu 240 km/h ist die Fahrt angenehm und größtenteils ruckelfrei. Das kostenfreie W-LAN funktionierte die meiste Zeit ohne Problem, außer unter dem Ärmelkanal. Entgegen dem Versprechen der Gesellschaft bekamen wir dort kein Signal, was sich aber auch verschmerzen ließ.

Während die Tatsache, dass es überhaupt möglich ist, mich persönlich weiterhin begeistert, ist die Fahrt durch den Eurotunnel selbst nichts Besonderes. Es ist halt 20 Minuten dunkel. Interessanterweise macht sich der Streckenabschnitt nicht durch besonderen Druckunterschied auf den Ohren bemerkbar. Die ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke von Frankfurt nach Köln macht sich im Gehörgang deutlicher bemerkbar als die Fahrt durch den Tunnel.

Ankunft

Die Eurostar-Züge erreichen London im internationalen Bereich des Bahnhofs St. Pancras. Hier geht man bis ans Ende des Gleises, dann eine Treppe hinunter in den Passagierbereich und wird ohne weitere Kontrollen (in unserem Fall) in König Charles‘ Wunderland entlassen.

EuroStar Ankunft London

Der Bahnhof selbst ist nicht nur bemerkenswert hübsch von außen und gut gepflegt von innen, sondern durch seine Nähe zum Bahnhof King’s Cross (weniger als fünf Minuten zu Fuß) der größte Bahnknotenpunkt der britischen Hauptstadt. Ein idealer Startpunkt für jeden London- und sogar Großbritannien-Aufenthalt.

Fazit

Die erste Klasse des Eurostar bietet ein überdurchschnittliches Bahnerlebnis. Dabei ist die Fahrt durch den Eurotunnel nicht die größte Besonderheit – der inkludierte Essens- und Getränkeservice sind in Frequenz und Qualität eine positive Ausnahme auf europäischen Bahnstrecken. Auch die Abläufe am Bahnhof wirken effizient und gut organisiert. Sitze und Kabine entsprechen europäischem Standard.

Durch den hohen Preis hat Eurostar sich die Latte selbst recht hoch gelegt, ein gutes Produkt anbieten zu müssen. Trotz der überwiegend positiven Eindrücke – der reguläre Ticketpreis von mehr als 100€ für Premier Standard steht in keinem gesunden Verhältnis zur gebotenen Leistung.

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Kommentar (1)

  1. Ralf von den Steinen sagt:

    Hallo.

    Auch ich habe im letzten Jahr beim zeitlich befristeten Interrail-Angebot zum halben Preis 1. Klasse zugeschlagen, bin im April und Mai 2023 mit Global Pass in 110 Zügen insgesamt 10.000 km in 9 Ländern unterwegs gewesen. Das eigentlich als Highlight gedachte Eurostar-Erlebnis London – Brüssel erwies sich am 12.05.2023 als GRÖSSTER FLOP DER GESAMTEN 10.000 km-TOUR:

    > durch 100 Min Verspätung des Eurostar in London St Pancraz verpasste ich Anschlusszüge in Bruxelles Midi, so dass ich mein finales deutsches Reiseziel Remscheid NICHT mehr gleichtägig per Bahn erreichen konnte. Alternativ blieben nur
    a) eine unplanmässige Übernachtung in Belgien oder
    b) eine zehnstündige Nachtfahrt über den Umweg Niederlande anstatt geplanter vierstündiger Fahrt am gleichen Tag.
    Um nicht am 13.05.2023 morgens zeitkrtische Termine am Endziel zu verpassen, musste mich nächtens ein ‚guter Geist‘ per PKW (!) in Welkenraedt/Belgien unweit Aachen abholen = 2 x 125 km extra Fahrt.

    > die internen Abläufe in London St Pancraz sind – ähnlich wie in Milano Centrale – so desorganisiert, dass die Abfahrtsbahnsteige erst 20 Min. vor Abfahrt bekannt gegeben werden. Dies führt zu signifikanten Verzögerungen, Hektik kurz vor Abfahrt bei den Passagieren und am 12.05.2023 in St. Pancraz zu völlig überfüllten Wartezonen mit chaotischen Szenen. Und dabei hat man in St. Pancraz lediglich zwei Züge pro Stunde zu managen!

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