Im Sommer 2022 hat die Deutsche Bahn die Mindest-Umsteigezeiten an zahlreichen Bahnhöfen in Deutschland künstlich verlängert. Somit sind viele Verbindungen mit knappem Umstieg nicht mehr buchbar, auch wenn eine Verbindung bei pünktlicher Ankunft eigentlich machbar wäre.
Damals versicherte die Bahn aber, dass niemand ein Problem bekommen soll, wenn er einen früheren Anschlusszug erwischt als geplant. Bis November 2024 fand sich somit auch folgender Abschnitt in den Bedingungen zur Zugbindung:

In anderen Worten: Die Bahn leistet zwar keine Entschädigungszahlungen mehr, hielt Reisenden aber grundsätzlich die Option offen, auch einen früheren Anschluss zu nehmen. Keine schöne, aber eine halbwegs verständliche Entwicklung in Anbetracht der chronischen Unpünktlichkeit.
In den Beförderungsbedingungen wurde diese Kulanzregel nie aufgenommen. Und nach etwas mehr als zwei Jahren ist sie jetzt schon wieder Geschichte. Ich hatte gestern erstaunt festgestellt, dass der Passus auf der Bahn-Seite nicht mehr zu finden ist. Die Deutsche Bahn bestätigte kurz darauf über Twitter:
Hallo, ja, die Regelung wurde zurückgenommen. Zu den Gründen liegt uns aber nichts vor.
Deutsche Bahn auf Twitter
Sehen wir uns das Ganze mal anhand eines konkreten Beispiels an:
Beispiel
Auf das Thema bin ich nicht zufällig gestoßen, sondern auf der Suche nach einer Bahn-Verbindung von Basel nach Rostock. Die DB schlägt dazu nur eine Verbindung mit Umstieg auf den Regional-Express vor. Macht insgesamt knapp 10 Stunden Fahrtzeit:

Nun weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die Strecke im Fernverkehr deutlich angenehmer zu fahren ist als im RE. Passenderweise gibt es einen ICE, der um 13:43 in Hamburg Hbf abfährt und Rostock dann um 15:32 Uhr erreichen würde. Die Deutsche Bahn zeigt diesen allerdings nicht an, da systemseitig eine Mindest-Umsteigezeit von 8 Minuten definiert wurde. Beim Filter „nur Fernverkehr“ lautet die einzige Option daher: 2 Stunden auf den nächsten Zug warten.

Die Mindest-Umsteigezeit von 8 Minuten am Hamburger Hbf besteht offenbar schon länger und nicht erst seit 2022. In den letzten Jahren wäre es aber möglich gewesen, bei Bedarf den früheren Zug nehmen, was in etwa 50% der Fälle klappen dürfte. Denn ein Wechsel von Gleis 13 auf Gleis 11 ist bei pünktlicher Ankunft problemlos machbar. Nur, dass es eben an der Pünktlichkeit hapert.
Nun wurde diese Möglichkeit abgeschafft. Und weil bei der Umsteigezeit genau eine Minute fehlt, bleiben mir als Fahrgast nur noch folgende Möglichkeiten:
- Zwei getrennte Tickets buchen, in der Hoffnung, den 7min-Anschluss zu schaffen
- 45 min auf den Regio warten, 80min später am Ziel ankommen und dafür 7€ mehr zahlen
- 2 Stunden und 7min am Hauptbahnhof Hamburg warten, bis der nächste ICE fährt (am günstigsten)
Ein anderes Beispiel, dass vielleicht mehr Reisende betreffen: Nicht selten stellt man fest, dass es nach Ankunft am Umsteigeknoten noch einen früheren ICE ans Ziel gäbe, der selbst verspätet ist. Bislang durfte man dann einfach in den nächsten Zug ans Ziel einstiegen, auch das geht jetzt nicht mehr. Beziehungsweise nur dann, wenn die Zugbindung aus eigenem Grund aufgehoben ist (d.h. 20min Verspätung absehbar sind).
Fazit
Ich war einst zufriedener Bahnfahrer und konnte der Bahn auch die eine oder andere Verspätung nicht übel nehmen. In den letzten Jahren war aber eine markante Abwärtsspirale erkennbar, sodass ich mich zunehmend nach Alternativen umschaue. Die Abschaffung der hier beschriebenen Kulanzregel für Sparpreise passt da ins Bild. Bislang war dies eine kundenfreundliche Regel, die für alle Seiten nur Vorteile hatte.
Bei meiner Beispiel-Verbindung wird dies nun vermutlich die Wahl zwischen Flugzeug und Bahn zugunsten des Flugzeuges entscheiden. Denn die DB ist (leider) der beste Grund, auch auf Kurzstrecken zu fliegen.
Kommentare (18)
Ich habe schon vor ein paar Jahren meine Bahncard 1. Klasse aufgrund von permanent schlechter Leistungen der Bahn gekündigt und fahre lieber wieder mit dem Auto.
Aber es gibt Hoffnung für uns alle.
Wenn das autonome Fahren kommt, werden wir zuhause von unserer selbstfahrenden Kabine abgeholt, komfortabel, pünktlich und ohne Umsteigen auf unbequemen, kalten Bahnhöfen zu unserem Zielort gebracht.
Mit bequemen Liegesitzen, Getränken und Verpflegung.
WER WILL DA NOCH BAHN FAHREN?
Liebe Bahnverantwortliche, ihr seid Gott sei Dank ein Auslaufmodell.
Was soll ich sagen.?
Ich war letzte Woche in Japan und da ist Verspätung nicht bekannt. Über so etwas braucht man sich keine Sorgen machen, denn Pünktlichkeit ist selbstverständlich.
Ich würde den Herren des Bahnvorstands eine Asienreise empfehlen. Da könnten Sie sich selbst überzeugen wie so etwas geht.
Die Bahn war leider nur in meiner Kindheit vor über 60 Jahren pünktlich. Seitdem ist es stetig schlechter geworden.
Und jetzt wird an den Auswirkungen anstelle von Ursachen herumgeschraubt.
Den Laden kann man getrost abschreiben.
In Japan bin ich sehr viel auf der Schiene unterwegs, und ich schätze die Züge und deren Zuverlässigkeit sehr. Das gilt auch für Südkorea, für China bis vor der Pandemie mit Abstrichen ebenso. Insbesondere Japan und Südkorea stechen hier weltweit positiv heraus.
Und ja, die Deutsche Bahn ist in den letzten Jahren nur schlechter und schlechter geworden.
Seriös vergleichen kann man die Situation in der BRD allerdings nicht mit der Situation in Japan (oder Südkorea) – dort liegen völlig andere Voraussetzungen vor. Stichwort: Äpfel und Birnen. Wir haben es mit zwei Länder mit einem eigenen und komplett getrennten Schienensystem ausschließlich für die Schnellzüge im Fernverkehr zu tun.
In Deutschland hingegen werden wir ein solches System nie bekommen. Es gibt einige wenige Schnellstrecken und Korridore – überall sonst teilen sich Fernverkehr, Nahverkehr und Güterverkehr die gleiche Schiene.
Mit einem befreundeten Südkoreaner hatte ich letztes Jahr eine interessante Diskussion. Es war damals höchst umstritten, ob man für ein so kleines Land wie Südkorea unter solch gewaltigen Kosten ein derartiges Schnellbahnsystem, das noch dazu aufgrund der Landschaft im Wesentlichen aus Brücken und Tunnels besteht, überhaupt bauen sollte.
Die Politik hat in Südkorea und auch in Japan sehr weise gehandelt, und heute profitiert man massiv von diesen Entscheidungen der Vergangenheit. Wann man hierzulande in der Politik richtig, vorausschauend und intelligent gehandelt hat – ich kann mich nicht erinnern.
Ich war letzten Monat in China und was soll ich sagen (auch wenn bei uns viel schöngeredet wird), es macht einfach nur Spaß mit der Bahn zu fahren. Sie fährt pünktlich, sauber und schnell.
Mein vorheriger, langer Kommentar kurz zusammengefasst: Um die Pünktlichkeitsquote der Bahn formal zu verbessern, wird jetzt durch Regeländerungen und Verlangsamung des Reisens dafür gesorgt, dass sich die durchschnittliche, geplante Fahrtzeit der Passagiere verlängert.
Ich vermute der Grund ist darin zu suchen, dass in letzter Zeit an einigen Regelungen geschraubt wird, da die Bahnvorstände Zielvorgaben für eine Verbesserung der Pünktlichkeitsquote bekommen haben. Somit hängt deren Bonuszahlung davon ab, ob die gemessene Quote reduziert wird. Die von Dir genannte Rücknahme der Kulanz geht vermutlich in diese Richtung. Wenn man Umsteigezeiten zwangsweise verlängert, können zwar keine schnellen Verbindungen mehr gebucht werden, aber da die Reisenden gezwungen sind, Verbindungen mit langen Wartezeiten beim Umsteigen zu buchen, kommen mehr Fahrgäste „pünktlich“ an ihrem Zielbahnhof an. Für Dein Beispiel: Wenn man dir erlauben würde, die Verbindung mit Ankunft 15:43 Uhr in Rostock zu buchen, wäre nach Deiner Einschätzung die Wahrscheinlichkeit 50%, dass Du den Anschluss in Hamburg verpasst und unpünktlich in Rostock ankommst (und die Bahn muss dir auch noch Entschädigung zahlen). Da Du aber nur die deutlich langsamere Verbindung mit Ankunft 16:50 Uhr in Rostock buchen kannst, verbessert sich laut Bahn-Kalkulation die Pünktlichkeit deiner Ankunft (selbst wenn Dein ICE nach Hamburg 20min Verspätung hatte). Du kommst geplant zwar erst sehr spät an, aber offiziell ohne Verspätung.
Eine andere Vorgehensweise zur Verbesserung der Pünktlichkeitsquoten: Bei mir wurden jetzt zweimal wegen Bauarbeiten die Abfahrtszeiten am Startbahnhof deutlich früher festgesetzt ohne dass die Zugbindung als aufgehoben angezeigt wurde. Die Bahn informierte mich das letzte Mal, ich müsse statt des gebuchten Regionalzuges um 6:30 Uhr schon einen Regionalzug um 4:30 Uhr nehmen, um die gebuchten Züge des Fernverkehrs zu erreichen. Ankunft am Zielort wäre dann pünktlich, die Fahrzeit aber um 2 Stunden verlängert. Kein Anspruch auf Fahrgastrechte, da ich zwar früher losfahren muss, aber nicht verspätet ankomme. Bei meiner Recherche fand ich Artikel von 2023, die sich auf eine Formulierung auf der Website der Bahn zur Zugbindung bezogen, dass bei Bauarbeiten auch bei früherer Abreise die Zugbindung aufgehoben werde. Mitte 2024 ist die Formulierung aber abgeändert worden und im November 2024 (bei meiner Fahrt) wurden nur noch Verspätungen als Gründe genannt. Wenn Reisende gezwungen werden früher abzufahren und suggeriert wird, die Zugbindung sei nicht aufgehoben, verbessert sich ebenfalls die Pünktlichkeitsquote. Addendum: Wie ich gerade sehe, wurde die Formulierung nochmal abgeändert und nun wird auch wieder eine frühere Abfahrt als Grund für die Aufhebung der Zugbindung genannt. Protest lohnt sich also. Ob die Bahn-App die aufgehobene Zugbindung jetzt aber anzeigt ist fraglich. Bei mir wurde es jedenfalls nicht angezeigt und ich hätte mit jedem Schaffner diskutieren müssen, so dass ich die Fahrt nicht angetreten habe.
Bezüglich des Beispiels nach Rostock sind m.E. zwei Dinge zu unterscheiden:
1) Möglichkeit, einen früheren Zug zu nehmen: Nur, weil man einen Zug früher nehmen darf, beeinflusst das ja die Entschädigungszahlungen nicht. Ich würde dann die Verbindung mit 2h 7min Aufenthalt buchen müssen, könnte aber (wenn pünktlich) trotzdem schon 15:43 in Rostock sein. Wenn es nicht klappt, würde die Bahn trotzdem keine Entschädigung zahlen müssen – denn gebucht habe ich ja ohnehin die Ankunft um 17:43.
2) Anpassung der Mindest-Umsteigezeit: Wenn man die offizielle Umsteigezeit nun auf 7 statt 8min heruntersetzen würde, und ich dann den Zug verpasse, wäre die DB tatsächlich entschädigungspflichtig.
Option 1) hatte m.E. nur Vorteile für die Bahn und auch die Kunden. Wieso man diese Kulanz daher abgeschafft hat, kann ich bei bestem Willen nicht nachvollziehen. Dass man sich an 2) nicht traut, ist angesichts der zahlreichen Verspätungen verständlich (wenn auch bedauerlich)
Ich hatte mich tatsächlich auf Punkt 2 bezogen, dass man also zu der Möglichkeit von früher zurückkehrt auch Verbindungen mit kurzer Umsteigezeit buchen zu können. Dass die Kulanz zurückgenommen wurde kann ich mir eigentlich nur durch den Versuch einer Vereinfachung der Kommunikation für die Schaffner erklären. Denn ich vermute mal, dass in der App die Zugbindung nicht als aufgehoben angezeigt wurde, wenn man eine frühere Verbindung bekommen konnte. Vielleicht gab es Beschwerden von Schaffnern, dass man zu viel darüber diskutieren musste, weil diese sich auf die Anzeige in ihrer App verlassen haben. Nur eine Hypothese. Oder im Klima des Sparens streicht man bei der Bahn einfach alle Kulanzen weg, egal ob sinnvoll oder unsinnvoll. Wie soll man die Bahn noch verstehen? Meine Bahncard ist jedenfalls zu Ende 2024 gekündigt.
Man schafft eine kulante Regelung ab, welche einzig und allein aufgrund der Unpünktlichkeit entstanden ist.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie schwierig einem schnelles Reisen per Bahn gemacht wird.
ich versteh’s einfach nicht. Welches Unternehmen schafft einen echten Kunden-Benefit ab, der nichts kostet?
Musst du halt ein Flex Ticket kaufen, wenn du flexibel sein willst, dachte sich wahrscheinlich der verantwortliche Bahn-Mitarbeiter und platzte fast vor Stolz, als er die Idee seinem Vorgesetzten präsentierte.
Gute Nacht Deutschland.. kann sich einreihen mit Lufthansa VW…
guter Artikel
In ein paar Jahren werden wir lesen, dass die Autoindustrie einige Verantwortliche der Bahn oder Politik geschmiert habe,
damit solche bahnfeindliche Regelungen kommen , und die Bürger wieder Auto fahren.
Ich habe meinen Status bei der Bahn aufgegeben und die BahnCard ist gekündigt. Fahre lieber mit dem Auto. Bin flexibler und dank Preissteigerung und Gebühr für Sitzplatz mit dem Auto nicht teurer.
Oh ja, die DB ist nicht immer Flexibel. Schade. Und ich hoffe mal, das der Vorstand in kürzester Zeit selbst mal solche Strecken fahren muss.
Ich habe diese „Kulanz“ auch hin und wieder genutzt und so einige Stunden Warten am Bahnhof vermeiden können. Schade dass die DB immer weiter Leistung abbaut und Preise erhöht, zuletzt ja die Fahrradkarte, die Sitzplatzreservierung, der Flexpreis und und und…
So wird das nix mit der Verkehrswende.
Der move der DB ist wirklich unverständlich. Mir fällt keine Regelung ein, wie diese Kulanzregel hätte ausgenutzt werden können. Da gibt es zig andere Möglichkeiten andere Regeln auszunutzen.
Beispiel:
Bin auf der Suche nach einem Ticket von Frankfurt Flughafen nach Bremen. Da gibt es Direktverbindungen und preistechnisch kommen nur Sparpreise in Frage. Jetzt ist nicht unbekannt, dass man Segmente davor buchen kann und mit etwas Glück geht der Pseudo-Unstieg schief, die Zugbindung ist aufgehoben und man bekommt ggf. eine Rückzahlung für die verspätetet Ankunft.
Bei der Buchung der vorherigen Segmente kommen einem die Zwischenstops bei der Suche zur Hilfe. Man kann tatsächlich zum selben Preis von Frankfurt Flughafen nach Frankfurt Hbf fahren, dort umsteigen, dann wieder zum Frankfurter Flughafen und dort wieder in einen anderen ICE umsteigen. Sind zwar recht lange Umsteigezeiten von 16min und mehr, aber mehr Chancen auf ein flexibles Ticket bekommt man auch.
Noch ein paar andere Beobachtungen:
1. Wenn durch Verspätung über 20min die Zugbindung aufgehoben wird und ich zeitlich keinen Stress habe, kann ich einen beliebigen Zug nehmen, sodass ich mehr als 2h verspätet ankomme und kassiere dann 50% Erstattung.
2. Verspätungen durch Dritte über 1h (Personen im Gleis) führen seit ein paar Monaten nicht mehr zu Erstattungen. In der Praxis kommen häufig mehrere Gründe zusammen. Da man hier überhaupt nicht einschätzen kann, ob die DB etwas erstattet, könnte es vorteilhaft sein zum Ausgangsbahnhof zurückzukehren, denn da erfolgt die Rückzahlung zu 100% auch bei Verspätungen durch Dritte.
Auf der einen Seite wäre ein Guide mit solchen Tipps cool, aber dann auch nur eine Frage der Zeit, bis die DB reagiert.