Erfahrungsbericht: Mit Boutique Air in der Pilatus PC-12 durch die USA

Boutique Air Pilatus PC 12 Header

Die USA sind wie kaum ein anderes Land weltweit auf den Flugverkehr angewiesen. Im ganzen Land gibt es daher tausende Flugplätze, von denen mehr als 500 im regelmäßigen Linienflugverkehr bedient werden (Quelle: FAA).

Um auch für kleinere Städte eine Anbindung an die großen Drehkreuze zu gewährleisten, gibt es das Programm Essential Air Service (EAS). Das amerikanische Verkehrsministerium gibt jedes Jahr mehr als 300 Millionen US-Dollar aus, um entsprechende Linienflüge aufrecht zu erhalten. Dabei kommt zum Teil sehr interessantes Fluggerät zum Einsatz: Cessna 208, Tecnam P2012 (Neuentwicklung aus Italien), Beechcraft King Air und Pilatus PC-12 sind nur ein paar Beispiele.

Dank des EAS-Programms konnte ich während einer Reise im Dezember 2021 erstmals einen Fuß in die Pilatus PC-12 setzen. Mit Boutique Air ging es von Baltimore über den Flughafen Altoona (Pennsylvania) nach Pittsburgh. Nachfolgend ein paar Eindrücke der Reise.

Zunächst aber kurz die Flugdetails:

  • Flug:
    • 4B843 Baltimore BWI – Altoona AOO
    • 4B844 Altoona AOO – Pittsburgh PIT
  • Sitzplatz: 4F / 1A
  • Fluggerät: Pilatus PC-12 N645PC
    (Auslieferung Juli 2005)
  • Blockzeit: 35 min + 35 min
  • Reisezeitpunkt: Dezember 2021

Über Boutique Air

Boutique Air ist eine kleine Airline mit Sitz in San Francisco, die überwiegend Charterflüge und Linienflüge unter dem EAS-Programm durchführt. Rückgrat der Flotte bilden mehr als 20 Pilatus PC-12 mit je 8 Sitzplätzen.

Durch den Fokus auf den Essential Air Service ist das Streckennetz von Boutique Air über die gesamten USA verteilt. Nachfolgend die aktuell durchgeführten Linienflüge (Stand Dezember 2021):

Streckennetz Boutique Air
Streckennetz der Boutique Air (© Boutique Air)

Anscheinend ist die Beschäftigung bei Boutique Air für viele Piloten der Einstieg in das Berufsleben als Linienpilot. Sie können als Pilot bei Boutique Air vergleichsweise einfach zu United Express und schließlich United Airlines wechseln (wo die Bezahlung sicher besser ist). Entsprechend sind vor allem viele junge Piloten für Boutique Air unterwegs.

Buchung

Gebucht hatte ich mein Ticket etwas mehr als eine Woche vor Abflug direkt auf boutiqueair.com. Die Website ist zwar nicht die modernste, funktioniert aber einwandfrei.

Die Buchung beider Segmente Baltimore – Altoona und Altoona – Pittsburgh als durchgehende Verbindung auf einem Ticket war ohne Probleme möglich. Kostenpunkt: Schlappe 53 $ (~49 €) für die gesamte Buchung. Zum (fast) gleichen Preis kann man laut Google Flights zwar auch mit American, Delta und Co fliegen – aber wo bleibt denn da der Spaß?

Buchungsbestätigung von Boutique Air

Check-in

Der Flughafen Baltimore ist mit mehr als 10 Millionen Passagieren pro Jahr einer der größeren amerikanischen Airports. Dennoch bleibt auch Platz für kleinere Fluggesellschaften. Auch für Boutique Air gibt es einen eigenen Check-in-Schalter. Etwas überrascht war ich, dass gleich drei Mitarbeiter mit dem Check-in beschäftigt waren. Schließlich fasst der Flieger maximal 8 Passagiere.

Boutique Air Check in
Check-in für Boutique Air im Baltimore

Ich gab dort meinen Handgepäck-Trolley ab und erhielt meine zwei Boardingpässe ausgehändigt. Der Drucker für die Boardingpässe scheint ein ganz normaler A4-Drucker zu sein, recht ungewöhnlich:

Boutique Air Boarding Pass
Boarding Pass auf einem A4-Blatt

Als jemand, der gedruckte Boardingpässe sammelt, hätte ich gerne einen „richtigen“ Boardingpass auf dickem Papier erhalten. Ein echter Kritikpunkt ist das allerdings nicht.

Gepäckregeln

Die Bedingungen für das Aufgabegepäck bei Boutique Air sind ungewöhnlich. Garantiert wird nur die Mitnahme eines Personal Items und Cabin-Trolleys. Letzterer wird aber im Frachtraum verstaut.

Boutique Air erhebt keine Gepäckgebühren. Trolleys, Über- und Sondergepäck werden ebenfalls kostenlos transportiert. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass noch Platz im Flieger frei ist. Wenn nicht, wird das Gepäck kostenlos auf dem nächsten Flug transportiert.

Boutique Air nimmt am Programm TSA Precheck teil. Dieses ist Teil von Global Entry, sodass ich blitzschnell durch die Sicherheitskontrolle gelangen konnte. Ein Vorteil, den ich nicht mehr missen möchte.

Boarding

Nach einem Aufenthalt in der Priority-Pass-Lounge (The Club BWI – keine High-End-Lounge, aber besser als nichts) ging es für mich zum Gate D36. Dieses befindet sich ganz am Ende des D-Terminals. Fluggaststeige gibt es hier nicht mehr. Der Terminal-Bereich befindet sich auf Bodenhöhe und zum Flieger geht es per Fuß.

Boutique Air Terminal
Boutique Air startet von der hintersten Ecke des Flughafens Baltimore

Am Gate fanden sich dann wiederum sechs Mitarbeiter der Airline bzw. des Flughafens ein (inkl. der zwei Piloten). Ich weiß nicht, womit diese Personen alle beschäftigt waren, aber als Fluggast fühlte ich mich ein wenig als Teil der Boutique-Air-Familie. Hat was.

Das Boarding sollte laut Boardingpass 30 Minuten vor Abflug beginnen. Ein Passagier fehlte zu dieser Zeit noch. Der Gate Agent rief den fehlenden Passagier kurzerhand auf seiner Telefonnummer an und versicherte sich, dass dieser bald aufschlagen würde.

Boutique Air Boarding
Boarding übers Vorfeld

In den Flieger ging es dann 15 Minuten vor Abflug, das Boarding selbst dauerte vielleicht eine Minute. Unter den Passagieren schienen mehrere Flug-Enthusiasten zu sein, nach Altoona wollte kaum einer.

Kabine & Sitzkomfort

Festgewiesene Sitzplätze gibt es bei Boutique Air nicht. Ich war einer der letzten beim Boarding und musste daher in der letzten Reihe Platz nehmen. Ich nenne den Sitz mal 4F, auch wenn keine Nummern ausgeschildert waren.

Boutique Air PC 12 Sitze 2
Mein Sitz befand hinten rechts in der letzten Reihe (auf dem Foto nur zu erahnen)

Overhead Bins sind nicht vorhanden. Das Handgepäck (bei mir ein kleiner Rucksack) musste daher auf dem Schoß gehalten oder unter den Beinen verstaut werden. Nicht gerade bequem, aber für die kurze Flugzeit vertretbar.

Boutiqe Air Beinfreiheit

Das Aufgabegepäck reist im Rumpf des Fliegers mit. Theoretisch wäre es sogar während des Fluges erreichbar, allerdings ist der Gepäckraum durch ein kleines Metallgitter abgetrennt:

Boutiqe Air Gepaeck
Das Gepäck reist nicht unter, sondern hinter den Passagieren mit

Wie ihr auf dem Foto sehen könnt, wirken die Ledersitze teilweise ziemlich abgenutzt. Boutique Air täte wohl gut daran, diese mal einem Facelift zu unterziehen.

Dennoch sind die Ledersessel vergleichsweise breit und bequem. Dafür kam mir die Bein- und Kniefreiheit erstaunlich knapp vor. Für 30 Minuten Flug kein großes Problem, aber viel länger möchte ich dort nicht verbringen. Reihen 1 – 3 sollten sich später als erheblich besser herausstellen. Immerhin bot mein Sitz trotz der letzten Reihe genügend Recline.

Es gibt (ähnlich wie z.B. in einer Cessna 172) einen kombinierten Hüft- und Schultergurt. Vorhanden sind auch ein Anschnallzeichen und sogar eine Air Nozzle für jeden Sitzplatz. Und mit der Jalousie fühlt man sich tatsächlich ein wenig wie im Privatjet. Laut Safety Card existiert auch eine winzige Toilette neben der Einstiegstür.

Essen & Trinken

Trotz der kurzen Flugzeit gibt es bei Boutique Air tatsächlich ein kleines Verpflegungsangebot. Die Darreichung war etwas unkonventionell: Vor Abflug erkundigte sich einer der Piloten nach den Getränkewünschen. Die kleinen Dosen mit Soft Drinks (Cola, Sprite & Co) wurden dann von den Mitreisenden bis in Reihe 4 durchgereicht. Dazu gab es noch eine kleine Packung Mini-Brezeln:

Boutique Air Verpflegung
Trotz der kurzen Flugzeit muss nicht auf die Bordverpflegung verzichtet werden

Flug nach Altoona

Nachdem Boarding gab es oben erwähntes Verpflegungsangebot und eine kurze Sicherheitsanweisung. Es gibt unter anderem 3 Notausgänge im kleinen Flieger. Im Anschluss ging es auch direkt los und wir fanden uns gut 5 Minuten nach dem Boarding auf der Startbahn wieder.

Boutique Air Passagiere
Auf nach Altoona im voll gebuchten Flieger

Ein Highlight des Fluges: Die Pilatus PC-12 verfügt über keine Trennung zwischen Passagierkabine und Cockpit. Passagiere können so den ganzen Flug lang dem Piloten über die Schulter schauen. Besser als jeder Fenstersitz im Linienflieger:

Boutique Air Landeanflug Altoona
Blick ins Cockpit beim Landeanflug auf Altoona

Der Flug verlief ruhig. Durch die vergleichsweise geringe Flughöhe (10.000 ft = 3 km) bot sich eine gute Aussicht auf die Appalachen. Die Landung in Altoona erfolgte so butterweich, wie ich es bei noch keinem anderen Flug erlebt habe.

Boutique Air Reiseflughoehe

Stopp in Altoona

Die Flüge Baltimore – Altoona und Altoona – Pittsburgh verfügen über unterschiedliche Flugnummern. Sie werden auch als unabhängige Flüge behandelt, d.h. jeder Passagier muss das Flugzeug für ca. 20 Minuten verlassen. Es geht dann in den sehr überschaubaren Wartebereich:

Boutiqe Air Warteraum Altoona
Der Warteraum verfügt immerhin über einen (kostenpflichtigen) Pepsi-Automaten

Mehr als rund 20 Sitze und einen Cola-Automaten bietet der Wartesaal nicht. Auch Toiletten gibt es dort nicht. Um sie aufzusuchen, musste ich den Sicherheitsbereich kurzzeitig verlassen. So bot sich immerhin ein kurzer Blick in das – erstaunlich große – Terminal des Flughafens:

Anschließend musste ich erneut die TSA-Sicherheitskontrolle passieren. Dank Precheck konnten Schuhe und Gürtel anbleiben. Laptop und Co müssen trotz Precheck einzeln gescannt werden. Gefühlt waren die beiden Mitarbeiter der TSA aber froh, überhaupt etwas zu tun zu haben.

Etwas überrascht war ich, dass es am kleinen Flughafen Altoona überhaupt eine TSA-Kontrolle gibt. Das ist bei EAS-Flügen wohl nicht immer der Fall.

Weiter nach Pittsburgh

Der Anschlussflug von Altoona nach Pittsburgh verlief eher ereignislos. In Altoona waren zwei Passagiere ausgestiegen. Dazu kamen ein weiterer Passagier und ein Paket (mit eigenem Sitzplatz).

Boutique Air PC 12 Sitze 1
Diesmal nahm ich auf dem rückwärts gerichteten Sitz (1A) Platz (auf dem Foto links)

Eine erneute Snack- und Getränkerunde gab es leider nicht mehr. Durch das Open-Seating-Konzept konnte ich nun aber immerhin einmal Platz 1A ausprobieren. Dieser bot gegenüber 4F ein zusätzliches Feature: Er lässt sich nach dem Takeoff ein wenig in Richtung Gang drehen, sodass mehr Platz für die Beine bleibt. Offenbar ist das überall in Reihen 1 – 3 der Fall.

Fazit

Ich habe extra einen kleinen Umweg in Kauf genommen, um die Pilatus PC-12 und Boutique Air in meine Flugstatistik aufzunehmen. Und das hat sich als Aviation Geek definitiv gelohnt: Boutique Air bietet ein sehr unkonventionelles Flugerlebnis zum Schnäppchenpreis. Erinnert ein wenig an den Hahn-Air-Privatjet zwischen Düsseldorf und Luxemburg, mit etwas weniger Luxus.

Ihr solltet am Tag des Fluges aber nicht mehr viel vorhaben. Oftmals sind die Flüge von Boutique Air viele Stunden verspätet oder werden gar ganz gestrichen. Dass bei mir alles wie am Schnürchen lief, ist mit Blick auf Flightradar24 eher die Ausnahme denn der Regelfall.

Abgesehen vom einzigartigen Flugerlebnis bildet Boutique Air eine wichtige Lebensader für amerikanische Kleinflughäfen. Ganz im Sinne des EAS-Programms dürfte es allerdings nicht sein, wenn die meisten Passagiere von Baltimore nach Pittsburgh reisen, ohne je einen Fuß nach Altoona zu setzen. Die Subventionen sind ja für die Anbindung kleinerer Flughäfen gedacht – nicht dazu, Flugzeugfans günstig von einer Großstadt in die nächste zu fliegen.

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Kommentare (7)

  1. Julian sagt:

    Wirklich interessant. Ich vermute die Flüge findet man auch nur auf deren Website und nicht über die einschlägigen Suchmaschinen?

    • Peer sagt:

      Sind als reguläre Linienflüge buchbar, auch über diverse OTAs und Suchmaschinen. Als ich die Preise gecheckt hatte, war es direkt bei der Airline aber ein paar Euro günstiger als über Drittanbieter.

  2. SIGRID sagt:

    Moin und frohes und gesundes Neues Jahr!
    Ein fantastischer Bericht, macht Lust, dass auch mal zu probieren.
    Herzlichen Dank dafür!

  3. Rainer Haeßner sagt:

    Absolut fetzig. Danke für den Beitrag!
    Wie laut ist so ein Ding denn?

    Wir sind mal in noch kleinerer Ausführung (max 3 Passagiere + Pilotin) in Neuseeland vom Milford Sound nach Te Anau geflogen. Das war auch unter Lärmschutzkopfhörern ein Höllenlärm. Bei wolkenlosem Himmel freilich ein absolut klasse Flug (und geringfügig teurer als 49 $ 🙁 )

    • Peer sagt:

      Gerne. 🙂 Unkonventionelle Eco-Flüge machen mir persönlich mehr Freude als die 6. Langstrecken-Business-Class. Daher berichte ich auch gerne drüber.

      Ich habe es als erstaunlich leise in Erinnerung. Nicht schlimmer als eine Dash-8, eher etwas besser.

      Die PC-12 hat ja eine Druckkabine und ist entsprechend relativ gut abgeschirmt. Daher braucht es auch keine Kopfhörer für die Passagiere.

      • Max sagt:

        Guter Bericht und sehr interessanter Flug für uns Enthusiasten.

        Zeigt aber auch mal wieder, dass staatliche Subventionen wie so oft nicht allzu sinnvoll sind. Erinnert mich irgendwie an eigentlich unprofitable Ryanair-Routen von Hahn/Weeze nach Hintertupfingen.

        • Peer sagt:

          Grundsätzlich halte ich das EAS-Programm schon für ziemlich sinnvoll. Oft werden die Strecken auch mit z.B. Embraer 135 geflogen. Da gibt es dann weniger AvGeeks und mehr Leute, die wirklich ans Ziel wollen.

          Viele Airlines des Programms setzen für die „günstigen“ Flüge einen Mindestaufenthalt von mehreren Stunden voraus. Ist denke ich eine sinnvolle Lösung, um den eigentlichen Zweck der EAS-Flüge zu bewahren. Wieso es bei Boutique Air aber nicht so ist, kann ich nicht sagen. Vermutlich sind die Geeks einfach kein großes Problem, solange sie nicht alle 8 Plätze wegbuchen.

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